Pressemitteilungen

Begeisterte Begegnungen                                                                    31.07.2008 Reutlinger Wochenblatt
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Laut war er, bunt, kreativ und schrill: Der Christopher Street Day am vergangenen Samstag in Stuttgart. So, wie sich viele der 175000 Zuschauer, die an den Straßenrändern standen, eine Schwulen- und Lesbenparade vielleicht vorgestellt haben. Irgendwie anders eben. Irgendwie schräg. Von Heslach über den Marienplatz durch die Tübinger Straße, über den Karlsplatz bis hin zum Schlossplatz zog sich der Umzug.

Männliche Chearleader in schwarzen Lackhöschen oder Travestiekünstler mit ausgefallenen Kostümen aus Silberfolie stöckelten mit hohen Absätzen über das Pflaster, tanzten und schäkerten mit den Zaungästen. Aber auch junge Frauen in Jeans und T-Shirt spazierten Arm in Arm durch die Straßen und küssten sich. "Ich glaube, dass jede Liebe gleich viel wert ist," prangte auf dem Transparent, das sie vor sich hertrugen. "Ich glaube an gleiche Rechte für alle," stand auf einem anderen Schild, das an einem der bunt dekorierten Wagen des Umzugs befestigt war.

Nicht jeder am Rande der Straßenparade stimmte dem zu. Manch glückliches homosexuelles Paar wurde beschimpft. Die meisten Paare aber nahmen die Tiraden gelassen. Auch "SchwuBeRT", die "Schwule Bereicherung Reutlingen" waren in diesem Jahr wieder mit dabei. Um wie die anderen zum Teil aus ganz Deutschland zum Christopher Street Day Angereisten an den ersten bekannt gewordenen Aufstand von Homosexuellen gegen Polizeiwillkür zu erinnern. Und um sich für die Gleichberechtigung und Anerkennung von Schwulen und Lesben einzusetzen.

Vielleicht aber auch, um sich selbst ein wenig zu feiern. Denn der Treffpunkt für homosexuelle Jungen und Männer in Reutlingen kann in diesem Jahr auf sein zehnjähriges Bestehen zurückblicken. Zehn Jahre, die nicht weniger farbig waren als der Regenbogen, den sich Homosexuelle weltweit als Zeichen gegeben haben. Zehn Jahre, in denen sich "SchwuBeRT" mit all den Argumenten konfrontiert sah, die Homosexuellen Paaren auch heute noch entgegengebracht werden ­ und das nicht nur in der Provinz: Schwul sein ist Sünde, ist widernatürlich.

Irgendwie nicht richtig eben. Doch vielleicht haben die Macher von "SchwuBeRT" auf solche Konfrontationen schon bei ihrer Gründung Ende Dezember 1997 eine Antwort gefunden. Der Name des Treffpunkts zumindest scheint Programm. "SchwuBeRT", das kann genauso für "Schwule Bereicherung Reutlingen" wie für "Schwule Begeisterung Reutlingen" oder "Schwule Begegnung Reutlingen" stehen. Darum waren es vielleicht vor allem die Parties im Jugend- und Kulturzentrum "Zelle", die die Gruppe nicht nur in der Schwulen- und Lesbenszene bekannt gemacht haben, sondern auch bei "Heteros".

Drei Mal jährlich finden diese Feten statt, die nicht ganz so schrill verlaufen wie der Christopher Street Day. Bunt sind die Parties aber auf jeden Fall. Und voller Begegnungen mit interessanten Menschen. In Reutlingen scheint also zu klappen, was auf der Internetseite des Christopher Street Day Stuttgart von einer Besucherin, zwar als ein Glaubensbekenntnis eingetragen wurde, aber genauso gut als Wunsch angesehen werden kann: "Ich glaube, dass Vorurteile niemandem helfen."

 

 


Selbst schenken statt beschenkt werden                                            21.02.2008 Reutlinger Nachrichten
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Gruppe SchwuBeRT überreicht Aids-Hilfe zum Jubiläum Scheck über 1000 Euro

Seit über 10 Jahren sorgt eine Gruppe von Männern am Fuße der Alb für Abwechslung: Die schwule Bereicherung Reutlingen (SchwuBeRT), heißt es in einer Mitteilung. Das sind über 20 junge und junggebliebene Schwule, die sich aus dem ganzen Kreis zusammen gefunden haben. Mit ihrer traditionellen Party kurz vor Weihnachten wurde kürzlich das Jubiläum standesgemäß mit einer Riesentorte und Feuerwerk gefeiert. Zum Geburtstag ließ sich die Gruppe nicht beschenken, sondern überreichte der Aids-Hilfe Reutlingen-Tübingen einen Scheck in Höhe von 1000,- Euro.

Dreimal im Jahr verwandeln die SchwuBeRTler das Jugend- und Kulturzentrum "Zelle" in eine Homodisko. Jede Party steht unter einem bestimmten Motto. Legendär ist inzwischen das "Adventsgestöckel", das am 13. Dezember 2008 schon zum elften Mal in der „Zelle“ stattfinden wird.

Jeden ersten und dritten Mittwoch ist im Café Nepomuk Treffpunkt. Dann werden Pläne geschmiedet, Mottos ausgedacht und Aktionen abgestimmt.

Die Gruppe SchwuBeRT mit Ihrem Spendenscheck für die Aids-Hilfe Reutlingen-Tübingen

 



Wie es das Herz begehrt                                                                          18.12.2006 GEA Reutlingen
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REUTLINGEN. Schwule und Lesben feiern ganz und gar nicht anders als alle anderen auch - ganz »normale« Partystimmung herrschte also am Samstag in der Reutlinger »Zelle«, auch wenn das übergeordnete Motto der Partynacht »Adeventsgestöckel« exotischere Gäste vermuten lässt. »Dann musst du an Fasnet kommen«, lautet die Antwort auf die etwas kleinlaut gestellte Frage, wo denn bitte schön die Diven wären? Keine Roben, wenig Prunk, wenig Schminke und noch weniger »Gestöckel« glänzt im nebelverhangenen Disco-Licht, sieht man mal von den glitzernden High-Heels ab, die die Einlasstheke zieren.

Jeans, T-Shirt und höchstens mal ein Netz-Hemd bestimmen die Abendgarderobe des Partyvolks, unter das sich auch etliche »Heteros« gemischt haben. Berührungsängste gibt es hier nicht.

»Wir kommen schon seit Jahren und sind so eine Art Stammgäste hier«

Am dekorativsten Blickfang kommt dennoch keiner vorbei, denn Miss Dementia an der »Gay-drobe« (von Englisch »gay«, schwul) wenigstens hat sich in Schale geschmissen und lässt die falschen Wimpern klimpern, während sie die Mäntel und Jacken der Gäste versorgt. Gegen Mitternacht ist der Laden voll, die Stimmung gut, bei manchen großartig, was mit daran liegen könnte, dass die Prosecco-Bar ständig umlagert ist. »500 bis 600 Leute ziehen unsere Partys im Schnitt an«, erzählt Werner, Mitglied im Reutlinger Verein »Schwubert«, der nun bereits zum neunten Mal Lesben, Schwule, Bisexuellen und deren Freunde zum fast schon legendären »Adventsgestöckel« geladen hat.

Eine Party, die Andy und Hans aus Eningen nie sausen lassen. »Wir kommen seit Jahren und sind wohl schon so was wie Stammgäste hier.« Etwas weiter ist die Anreise von Martin und Marco aus Schlaitdorf. »Aber eigentlich ist es nach Reutlingen keine Entfernung, denn das Angebot ist so mickrig in der Region, dass wir meist nach Stuttgart oder auch schon mal nach Zürich fahren.« Den beiden gefällt es in der Zelle, »im Vergleich zu anderen Discos ist es hier zwar deutlich alternativer, aber sehr angenehm.«

Kurz nach Mitternacht ist dann wieder die obligatorische Walzer-Einlage gefragt. Und tatsächlich drehen sich viele Pärchen im Kreis, Männlein mit Männlein, Fräulein mit Fräulein, Männlein mit Fräulein, bunt gemischt und jeder so, wie es sein Herz begehrt. (GEA)

 

Walzertime um Mitternacht                                                                      20.12.2005 GEA Reutlingen
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REUTLINGEN. Es ist eine Party wie viele andere in der Zelle. Die überdimensionalen Stöckelschuh-Konturen über der Tanzfläche und die obligatorische Prosecco-Bar lassen jedoch erahnen, dass es beim »Advents-Gestöckel« doch zumindest ein bisschen anders zugeht als bei anderen Partys. Dennoch finden sich zur weihnachtlichen Schwubert-Party durchaus auch »Heteros« ein.

 

 

Ein bisschen Klischee muss sein: Der Blickfang schlechthin beim Adventsgestöckel war die Empfangsdame an der »Gayderobe«.
Der erste Gang führt für viele Gäste zur »Gayderobe«, wo sich unter anderem ein überaus feminin kostümierter Helfer um Jacken und Mäntel kümmert. Die Sektbar gleich nebenan ist natürlich ebenfalls gut besucht - obwohl die Auswahl eher klein ausfällt: »Hier gibt's nur Prosecco«, muss zum Beispiel Schwubert-Helfer Artur einem Gast lachend erklären. »Also nur den Guten.«

Dass er den ganzen Abend über Thekendienst hat, kann dem 35-jährigen Reutlinger den Spaß an der Sache ganz offensichtlich nicht verderben: »Ich find's klasse, dass so was im pietistischen Reutlingen möglich ist.«

Klasse, dass das im pietistischen Reutlingen möglich ist«

Bereits zum achten Mal organisiert die Schwule Bewegung Reutlingen, kurz Schwubert, das »Advents-Gestöckel« in der Zelle. Es ist eine von drei größeren Veranstaltungen, die die rund 25 freiwilligen Helfer jährlich auf die Beine stellen. Im Vordergrund stehe dabei selbstverständlich ausschließlich der Spaß, betont Schwubert-Mann Frank (38): »Da ist nichts dran verdient.«

Dass es in der Zelle erst etwas später voll wird, liegt nicht nur am abendlichen Schneegestöber, sondern auch an den teils langen Anfahrtswegen: Die Veranstaltungen der Schwulen Bewegung Reutlingen sind überregional bekannt und locken selbst Gäste aus Stuttgart oder Karlsruhe an. Im vergangenen Jahr platzte die Zelle bei über 600 Besuchern aus allen Nähten.

Auch Martin, der gerade einen Prosecco an der Sektbar trinkt, hat einen etwas weiteren Weg hinter sich. Der 36-Jährige lebt zwar in Göppingen, kommt aber trotzdem immer wieder gerne zu den Schwubert-Partys. »Ich richte meine Termin- und Urlaubsplanung danach.«

Der Höhepunkt des Abends ist um zwölf Uhr traditionell die »Walzer-Time«. Für ein paar Minuten ist dann Schluss mit den disco-kompatiblen Beats, stattdessen dreht man sich auf der vollen Tanzfläche beispielsweise zum »Schneewalzer« im Kreis. Und zwar sowohl Männlein mit Männlein wie auch Männlein mit Weiblein - denn so ganz unter sich ist die Schwubert-Zielgruppe doch nicht.

Bald darauf gibt es wieder den üblichen, tanzbaren Partysound - unter anderem auch mit klischee-behaftetem Herzschmerz von Marianne Rosenberg oder Madonna. Denn »ein bisschen Klischee«, meint Schwubert-Mann Frank grinsend, müsse bei so einer Veranstaltung eben schon sein. (ts)


Homo-Ehe - Vatikan-Papier erregt auch in Reutlingen die Gemüter.
Unverständnis und Empörung
Ratzinger-Dokument für viele eine »Kampfansage«    GEA Reutlingen
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REUTLINGEN. Der Vatikan verurteilt die Homo-Ehe - und das ist eigentlich kein Novum. Neu hingegen ist die Schärfe, die aus dem von Kardinal Joseph Ratzinger unterzeichneten Dokument spricht. In ihm werden (der GEA berichtete) katholische Politiker zum Widerstand gegen homosexuelle Lebensgemeinschaften aufgerufen, gleichgeschlechtlichen Paaren jegliche Kompetenzen zur Kindserziehung abgesprochen.
Beides bringt die Volksseele zum Kochen. Auch in Reutlingen, wo beileibe nicht nur in der Schwulen- und Lesbenszene mit Empörung auf die provokante Publikation reagiert wird, wie ein Bummel über die Wilhelmstraße zeigt. Gestern jedenfalls toppte das Thema in den Straßencafés der Achalmstadt.

Grund genug, bei Betroffenen und direkt Angesprochenen nachzufragen. Etwa bei Walter Arnold von der ¯ Initiative »SchwuBeRT«, der die »aufhetzenden Äußerungen« als »Kampfansage« empfindet. Einen solchen »Fundamentalismus hätte man nicht erwartet«. Entsprechend groß seien auch Verletzung und Ärger.

Dabei gibt sich Walter Arnold beim GEA-Gespräch unaufgeregt, möchte sich nicht provozieren lassen und scheint weit davon entfernt, Gleiches mit Gleichem zu vergelten. Die von Ratzinger angeschlagene Tonart - so viel steht fest - ist die seine nicht. In den Ohren schrillt sie ihm trotzdem ziemlich alarmierend.

»Dieser Schrieb hat eine besondere Qualität«, sagt er und erklärt: »Er ist ein klares Zeichen dafür, dass die katholische Kirche eine Trennung von Kirche und Staat nicht akzeptieren will.« Und dass sie mit Ängsten spielt - der Homosexuelle als »Kindsverführer«, ein Klischee, das wachgekitzelt werde und Kurzschlussargumenten Vorschub leiste.

Pauschale Unterstellungen!
Schon passiert, wie auf Reutlingens Flaniermeile zu hören, wo vor allem ein Zitat die Gemüter erregt: dass Adoptionen durch Homosexuelle »faktisch eine Vergewaltigung der Kinder« bedeuteten. In diesem Zusammenhang, finden etliche Mittagspäusler, sollte der katholische Klerus doch mal sorgfältig vor der eigenen Haustür kehren.

Wurmen tut's trotzdem, wie Walter Arnold sagt. Denn für ihn heißt das im Klartext: »Homosexuellen wird pauschal unterstellt, dass sie nicht verantwortungsvoll mit Kindern umgehen können.« Und das sei kompletter Nonsens.

Anders die Sicht des Reutlinger Bundestagsabgeordnete Ernst-Reinhard Beck (CDU) der im Vatikan-Papier »keine Diskriminierung homosexueller Menschen« erkennen kann. »Zu Recht«, so der Christdemokrat, »verweise die Glaubenskongregation auf den Wert von Ehe und Familie als Kern menschlichen Zusammenlebens«. Eine rechtliche Gleichstellung homosexueller Lebensmodelle »würde dem im Grundgesetz geforderten besonderen Schutz von Ehe und Familie nicht gerecht«. Sie werde deshalb von Beck abgelehnt. Ebenso wie ein Ergänzungsgesetz, das steuerliche Erleichterungen für Homo-Paare vorsieht. Bei allem Respekt: "Toleranz ist etwas anderes als Billigung oder Legalisierung."

Christopher Street Day - Morgen feiern in Stuttgart viele
tausend Homosexuelle. Unter ihnen ein Travestie-Künstler                   23.07.2004 GEA Reutlingen

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»Ich bin nicht nur ein Mann im BH«

VON VERONIKA RENKENBERGER

STUTTGART/REUTLINGEN. Heute legt sich Michael genüsslich in die Badewanne. Rasiert sich Oberkörper, Arme und Beine, zupft die Augenbrauen, feilt und lackiert die Nägel. Morgen ist in Stuttgart die alljährliche Christopher Street Day-Parade, der stolze Auftritt der Schwulen und Lesben, wo sie Präsenz zeigen in Alltag und Gesellschaft. Michael ist schwul. In seiner Freizeit tritt er als Travestie-Künstler auf - Ehrensache, dass er als »die Margöttliche« auch die Parade zieren will. Ebenso Ehrensache, dass er fürs ausgiebige Verwandlungsritual Tage vor der Parade Urlaub nimmt. Hinterher hört er nur noch auf den Namen Margot und ist ein anderes Wesen, »nicht nur ein Mann im BH«.

Eigentlich habe er schon mit elf tief drinnen geahnt, dass er anders sei, erzählt Michael. Nachträglich wurde dem Leipziger sehr klar, warum er damals nicht mit den Klassenkameraden Sprüche klopfte über Mädchen. Statt dessen spielte er mit Jungs Verstecken und fing sie, »so richtig mit Festhalten«. Bald hatte er »zu 95 Prozent Mädels-Freundinnen«, spielte Puppenhaus, war zu Fasching Burgfräulein. »Heute weiß ich: Das sind ganz typische Dinge.«

Blaue Haare, feste Freundin

Damals konnte er das alles noch nicht einordnen, plagte seine Eltern als »richtig schwieriger« Pubertierender erst mal mit blau gefärbten Haaren und Ausflügen in die Hausbesetzer-Szene. Anfang 20, nach einer angefangenen Schauspielausbildung, zog er nach Tübingen zum Studieren und hatte zweieinhalb Jahre lang eine Freundin. Sein Coming Out, das innere und nach außen gelebte Bekennen zur Homosexualität, kam spät: erst mit 26, im Jahr 1998.

Heute geht Michael ganz offen Händchen haltend durch die Städte der Region, »sofern mein Partner das auch will«, ist Mitglied der Reutlinger Gruppe Schwubert und zugleich einer der Leiter der Tübinger Coming Out-Gruppe. Die bietet Hilfestellung und manchen Menschen das erste Mal das Gefühl, nicht alleine zu sein. Nicht wenige dieser Unerfahrenen führt der Weg bald zum CSD nach Stuttgart, erzählt Michael: »Viele fühlen sich in der Masse geborgen und trauen sich in dieser Anonymität, dabei zu sein.« Wer nicht nur am Straßenrand steht und guckt, sondern mitläuft, der setze ein Zeichen: »Das ist meines Erachtens ein sehr couragierter Akt.«

Bespuckt oder verstoßen

Denn auch heute noch, so sein Rat, müsse sich jede und jeder vor einem Outing klar machen, was das »worst case-Szenario« wäre, das Schlimmste, was einem nach dieser Enthüllung passieren kann. Begafft wurde Michael schon oft, bedroht noch nie, »aber einmal hat einer vor mir ausgespuckt«. Von Schwaben weiß er: Hier in der pietistischen Region »spielt es leider eine unglaublich wichtige Rolle, was die Nachbarn denken«.

Verstoßen zu werden von den Eltern, die sich wegen des aussterbenden Familiennamens oder fehlender Enkel quälen, das gebe es noch. Sein Vater habe das Wort »schwul« bis heute nie ausgesprochen, er rede von »die da«. Und habe im klärenden Gespräch auch die klassische Frage gestellt: »Hast Du Dir das auch gut überlegt?« Michael schnaubt. »Als ob das eine Entscheidung wäre, die man trifft.«

Bei seinen Auftritten als Travestie-Künstler, beispielsweise im Tübinger Sudhaus oder dem LTT, erntet er umso mehr Begeisterung. Die erarbeitet er sich hart. Seine viele Stunden dauernde Verwandlung zur Frau hat er über die Jahre perfektioniert, weiß mehr übers Schminken und hochhackige Schuhe als viele Frauen. Seine Einkäufe erledigt er übrigens in Tübingen, wo er die buntesten Fummel in einer Boutique schon immer für ihn weggehängt werden und er seit Jahren eine »Drogistin meines Vertrauens« hat. »Das Ganze ist halt ein teures Hobby«, seufzt er. Wenn er wieder mal alles von Nagellack bis Lidschatten Ton in Ton zum Kleid kauft, lässt er »schnell 100 Euro liegen«.

Raus aus der Schublade

Der studierte Rhetoriker und Historiker arbeitet als Marketing-Projektbetreuer in einem Tübinger Teilort. Dort in der Firma steht ganz selbstverständlich eine Regenbogenfahne auf seinem Tisch, ein Erkennungszeichen unter Homosexuellen - das wäre längst nicht überall möglich, weiß Michael. Deswegen gefällt ihm das Motto des CSD 2004 auch sehr gut: »Gesicht zeigen«, heißt es. Er hat sich das so übersetzt: Es geht um den Mut zur Präsenz, ohne dabei provokant zu wirken. Denn man wolle ja als Teil der Bevölkerung akzeptiert werden, sich nicht mehr rechtfertigen, »aber wenn wir provozieren, droht die Gefahr, dass wir uns selbst wieder in die Schublade stecken, aus der wir versuchen rauszukommen«. (GEA)