Schwul in der Provinz
Mit den Partys für Schwule, Lesben und ihre Freunde bereichert SchwuBeRT seit über 18 Jahren das kulturelle Leben in Reutlingen. Es sind dies nicht die ersten schwulen Aktivitäten in der Stadt, bereits in der unmittelbaren Nachkriegszeit und den Jahren des Wirtschaftswunders gab es einen Kreis von Freunden, der für die Emanzipation der Schwulen kämpfte.
Die alljährlichen Paraden eines quietschbunten Völkchens in den Großstädten der Republik erinnern an New York 1969, den Aufstand von Schwulen, Lesben und Transsexuellen gegen Polizeiwillkür in der Christopher Street. Die Demonstrationen für Toleranz und Gleichberechtigung sind zu einem Volksfest geworden. Die Schwulen und Lesben haben ihre Verstecke verlassen und sind zu einem trendigen Teil der Gesellschaft geworden. Sie sind überall. Sie führen Ministerien, sind Bürgermeister von Groß- und Kleinstädten, sie bringen die Post und unterrichten unsere Kinder.
Ob sie jedoch tatsächlich in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind, ist zweifelhaft. Noch immer gibt es zahlreiche gewaltsame Übergriffe, werden Schwule und Lesben im Beruf diskriminiert, ist „schwul“ das häufigste Schimpfwort auf Schulhöfen.
1998 hat sich in Reutlingen die Gruppe SchwuBeRT gegründet. Das „Be“ im Namen legt nahe, dass es „Bewegung“ meint, es könnte aber auch „Begeisterung“ heißen, sicher nicht beabsichtigt war die Bedeutung „Schwule Bedrohung Reutlingens“.
Nach mehreren internen Treffen wurde für den 7. März 1998 der Schritt in die Öffentlichkeit gewagt. Unter dem Titel „Hom-O-Disko“ fand in der Zelle, damals noch in der Oberen Wässere, die erste Party statt. Seitdem sind die dreimal jährlich stattfindenden Partys Tradition geworden. Die Veranstalter sind stolz auf ihren Erfolg, alle engagieren sich ehrenamtlich, finanzielle Ziele werden nicht verfolgt.
Gräbt man im Archiv, zeigt sich, dass es schon Jahrzehnte vor SchwuBeRT eine Gruppe von Homosexuellen in Reutlingen gab, die sich unter schwierigsten Bedingungen engagierte. Der 2. Weltkrieg war seit fünf Jahren beendet, als das Freundespaar Harry Hermann (1919-1995) und Willy Stiefel (1924-1984) die Gründung einer Gruppe anregte. Zusammen mit Walter Hettich (1922-1994) entstand 1950 die Kameradschaft „Die Runde“. „Die Runde“ musste zwangsläufig diskret agieren, der von den Nazis verschärfte Schwulen-Paragraf 175 war unverändert ins Strafrecht der Bundesrepublik Deutschland übernommen worden.
„Es ist Tatsache, dass wir in der amerikanischen Zone kaum an eine Änderung der gesetzlichen Auffassung glauben können.“ (Zitat aus dem Brief eines Frankfurters an einen Freund vom 21.3.1949)
Kaum zu glauben, aber wahr: Reutlingen wurde für einige Dekaden zum Kristallisationspunkt nationaler schwuler Emanzipationsbestrebungen. Viele Schwule waren unter den Nationalsozialisten inhaftiert worden, im KZ mussten sie einen „Rosa Winkel“ tragen. Viele mussten fliehen und fanden in der Schweiz Zuflucht. So waren die Verbindungen mit der Schweizer Gruppe „Der Kreis“ sehr eng. „Die Runde“ übernahm in Abwandlung das Signet der Schweizer Gruppe: Unter dem Zeichen der Flamme erinnerte das lateinische „Suum Cuique“ (Jedem das Seine) an die zynische Inschrift am Tor des KZ Buchenwald, in dem viele Schwule zu Tode kamen.
Ab 1957 gab die Gruppe eine hektografierte Zeitung heraus, die unter dem Gruppenname „Die Runde“ erschien. Dies konnte nicht offen geschehen, denn aufgrund des 1953 verabschiedeten Gesetzes „über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften“ wäre das Blatt indiziert worden. 1964 gab die Gruppe dem Blatt den Namen „Der Rundblick“. Noch immer wurde diskret gearbeitet, wurden die Ausgaben in neutraler Form an Abonnenten in der ganzen Republik verschickt. Glücklicherweise sind die Nummern 3/1964 bis 12/1965 im Schwulen Archiv in Köln aufbewahrt.
Der politische Kampf um die Liberalisierung des § 175 hatte Erfolg: Nachdem 1969 unter Justizminister Gustav Heinemann der Paragraf entschärft wurde, löste sich die Gruppe auf.
1983 gab es einen neuen Anlauf zur Bildung einer Gruppe in Reutlingen. Zusammen mit dem örtlichen Büro der „pro familia“ wurde das „Rosa Telefon“, eine anonyme Beratungsmöglichkeit für Schwule, eingerichtet.
(Raimond Queneau, Zazie in der Metro)
Dieses Zitat zierte den ersten Flyer für das „Rosa Telefon“. Um diese und ähnliche Fragen zu beantworten, wurde das Projekt gegründet. Parallel zu dieser Initiative entstand in der Zelle der sonntägliche schwule Kaffeeklatsch. Das Zelle-Buch „Unsere Wünsche sind Erinnerungen an die Zukunft“ erinnert mit einer polizeilichen Notiz an das ungern gesehene Treiben.
1997 erschien im Wochenblatt eine Anzeige, die Mitstreiter für einen Schwulentreff suchte. Das war der Anstoß zur Gründung von „SchwuBeRT“ der Gruppe, die bis heute das Leben in Reutlingen bereichert. Vielleicht sollte das „Be“ ja als „Schwule Bereicherung Reutlingen“ gedeutet werden?
Quellen:
Unsere Wünsche sind Erinnerungen an die Zukunft (Zelle)
„Der Rundblick“ 3/1964 bis 12/1965
„Die Runde“, Verlag Rosa Winkel, Hrsg. Karl-Heinz Steinle, Schwules Museum Berlin